Selbstportraits als künstlerische Selbstbefragung finden sich seit jeher in der Kunstgeschichte – doch auffallend häufig widmen sich Frauen diesem Genre. Ein Grund dafür liegt in ihrer gesellschaftlichen Stellung.
Frauen mussten ihre Rolle als professionelle Künstlerin weitaus stärker behaupten und unter Beweis stellen. Und tun dies in Selbstportraits, die – ob zweifelnd, selbstbewusst oder frech – allesamt eindrückliche Zeugnisse sind ihrer Selbstvergewisserung in der Welt.
Bereits die niederländische Malerin des Barock Judith Leyster verewigte sich Mitte des 17. Jahrhunderts selbstsicher bei der Arbeit. Ihr populäres Künstlerinnenselbstbild beweist das große Selbstverständnis der Künstlerin und liefert einen Beweis für die Unabhängigkeit von Judith Leyster, die als Künstlerin äußerst erfolgreich war. Sie hatte zahlende Auszubildende, war bestens vernetzt und gut versorgt mit Aufträgen.
Auch Lotte Laserstein setzte sich in ihren Selbstportraits immer wieder als professionelle Malerin in Szene. Die handwerklich hochtalentierte Künstlerin, wählte diese bewusste Inszenierung als Malerin um ihren Status als Künstlerin zu behaupten. Laserstein gehörte mit zu den ersten Künstlerinnen, die ab 1919 die renommierten Kunstakademien besuchen durften. Auch gelang es ihr, sich in der hart umkämpften Berliner Kunstszene als Malerin zu etablieren – damals keine Selbstverständlichkeit und Anlass genug, diese Errungenschaft in Gemälden zu bannen.
Selbstportraits als eine Art der Selbstvergewisserung schuf Anita Rée. 1930 realisiert sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere dieses sehr offenes, zugleich sich schützendes Selbstportrait, das den stillen Ernst und die tiefe Melancholie spiegelt, mit dem die jüdische Künstlerin auf ihre wankend gewordene Welt blickt.
Außergewöhnlich radikale Selbstportraits realisierte die Dresdner Malerin der Neuen Sachlichkeit Elfriede Lohse-Wächtler. Die virtuose Zeichnerin widmete sich mit schonungsloser Hingabe der Realität und malte die verruchte Rückseite der vermeintlich Goldenen Zwanziger. Rau sind nicht nur die Lebensumstände der verarmten und psychisch wankenden Künstlerin, sondern auch der Blick auf sich selbst. In zahlreichen Selbstportraits bezeugt sie ihre Verzweiflung, ihre Trauer und ihre Zweifel, realisiert aber auch Inszenierungen ihrer künstlerischen Schaffenskrisen oder die einer modernen, intellektuellen Frau.
Insbesondere in der Fotografie inszenierten sich viele Künstlerinnen selbst und nutzten das neue Medium für ihre experimentellen Selbstdarstellungen, so die Britin Julia Margaret Cameron, die träumerische Selbstportraits schuf und mit ihren religiös-romantischen Fotografien zur bedeutendsten Fotografin der viktorianischen Epoche avancierte.
Die expressionistische Malerin Helene Funke schuf bereits um 1900 fotografische Selbstportraits und setzte sich als moderne, weltoffene Künstlerin zwischen München, Paris und Wien in Szene.
Zahlreiche Bauhauskünstlerinnen inszenieren sich in avantgardistischen Fotografien – ob im Stil des „Neuen Sehens“ wie Florence Henri, modern wie Ré Soupault oder wie Gertrud Arndt mit der eigenen Rolle als Frau spielend. Die eigene Identität hinterfragt Claude Cahun mit ihrer dem Surrealismus nahen Fotografie.
Mit Beginn der 1970er Jahren rütteln die Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde nicht zuletzt mit ihren Selbstdarstellungen an überkommenen Rollenbildern und treten in einen kritischen Dialog mit dem eigenen Ich – Wer bin ich als Frau? Wer bin ich als Künstlerin? Darunter VALIE EXPORT, Birgit Jürgenssen, Annegret Soltau, Cindy Sherman, Karin Mack, Margot Pilz, Francesca Woodman uvm.