Helene Funke

Helene Funke
Courtesy Nachlass Helene Funke
1869-1957 / deutsch-österreichische Expressionistin
„Ich bin selbst ein einsamer Steppenwolf.“
Helene Funke in einem Brief an den befreundeten Hermann Hesse, 1944

Als die junge Künstlerin Helene Funke 1899 aus der Industriestadt Chemnitz aufbricht, um an der Münchner Damenakademie Malerei zu studieren, ist das ein gewagter, fast unerhörter Schritt für eine Frau. Die großbürgerliche Familie ist entsetzt. »Eine Tochter zu haben, die Malerin werden wollte, das kam gleich nach der Prostitution«, erinnert der Neffe und Biograf Peter Funke. Doch die einzige und eigensinnige Tochter (neben vier Brüdern) lässt sich nicht aufhalten und entflieht dem streng patriarchalen Elternhaus. An der Damen-Akademie studiert sie zwei Jahre gemeinsam mit Gabriele Münter – die staatliche Akademie war Frauen noch verwehrt – bis es ihr auch hier zu provinziell ist. 

Helene Funke an der Pariser Seine
Courtesy Nachlass Helene Funke

Künstlerischer Aufbruch

Nach ersten Ausstellungsbeteiligungen in München und Berlin 1904, lockt zwei Jahre später Paris, wo Funke im Herzen von Montmartre lebt und wirkt. Berauscht von der Modernität und ihrer neuen Freiheit, saugt die Künstlerin alle neuartigen Strömungen auf – insbesondere Henri Matisses und André Derains Fauvismus – und ändert ihren Stil grundlegend. Funke wählt nun explosive Farben, einen entschiedenen Strich und trägt dick auf. Von Frankreich aus unterhält sie weiterhin Verbindung zu Deutschland, beteiligt sich ab 1909 an Ausstellungen in Chemnitz, Hamburg, Bremen, Mannheim, Wien und ist bei der ersten Ausstellung der Künstlervereinigung Dresden vertreten.

Helene Funke, „Akt in den Spiegel blickend“, 1908/10
Courtesy Belvedere Kunstmuseum Wien / Foto: KOBERSTEIN FILM
Inspiration Montmartre

In Paris wagt sich Funke an die Aktzeichnung – für Malerinnen in Deutschland damals noch ein Tabu. Es entstehen ungeschönte und betont unerotische Bilder, diese selbstbestimmten Frauendarstellungen sollen ihr beliebtes Sujet werden. Bald erobert sich Funke einen Platz unter der Pariser Avantgarde, ist in den Pariser Herbstsalons wie auch in den Salons des Indépendants präsent und stellt gemeinsam mit Matisse, Braque, Vlaminck und Picasso aus. Neben der Malerei und Grafik widmet sich Funke leidenschaftlich der noch jungen Fotografie. Bereits Anfang des Jahrhunderts macht sie mit dem damals neu erfundenen Fernauslöser »Selfies« – damals äußerst ungewöhnlich und heute ein frühes fotografisches Vermächtnis weiblicher Selbstinszenierung.

Helene Funke auf dem Dach eines Wiener Wohnhauses, 1912
Courtesy Nachlass Helene Funke
Ein Farbenfeuerwerk

1913 beschließt Funke ihrem Leben eine neue Richtung zu geben und tauscht Paris gegen die »verblasste Kunstmetropole« Wien. Hier schlägt Helene Funke als Avantgarde-Komet ein, nimmt an großen Ausstellungen mit den Wiener Sezessionisten, den Hagenbund oder der Wiener Kunstschau teil und ist 1917 an der österreichischen VBKÖ-Ausstellung in Stockholm vertreten, wo sie die schwedischen Kritiker mit ihren ungeschönten Aktdarstellungen fasziniert – Funkes Akte seien von »ausgezeichneter Unanständigkeit und von einer fast perversen Betonung von Sinnlichkeit«. 1918 ist sie Mitbegründerin der radikal-expressionistischen Künstlergruppe »Bewegung«.

Helene Funke, „In der Loge“, 1904
Courtesy Lentos Kunstmuseum Linz/ Foto: KOBERSTEIN FILM

Neben dem positiven Kritikerstimmen – Funkes Werk sei ein »wahres Farbenfeuerwerk« – geben ihre Rolle als Frau sowie ihr äußerst moderner Stil auch Anlass zu hässlichem Presseecho. »Diese von Frauenhand mit der Spachtel maurermäßig derb hingestrichenen Bilder sind ein Greuel«. oder »Die Frau kann auch als Künstlerin nie zeugen, sondern nur gebären. Denn die Frau hat keine Kunst.« Doch Helene Funke hat Kunst und zählt in den 1920er Jahren zu den ganz Großen. 1928 erhält Funke den Österreichischen Staatspreis für bildende Kunst – als zweite Frau in der Geschichte des Landes. 

Helene Funke, „Träume“, 1913
Courtesy Belvedere Kunstmuseum Wien / Foto: KOBERSTEIN FILM
Zu Lebzeiten vergessen

Während des Zweiten Weltkrieges bleiben die Aufträge aus, die gefeierte Avantgardistin hält sich mit Reinigungsarbeiten über Wasser und zieht sich in die innere Migration zurück. Trotz zweier Ausstellungen 1948 in Wien und Welz, ist Helene Funke da im Grunde bereits vergessen. 1957 stirbt sie isoliert und verarmt, ihr künstlerischer Nachlass ist verstreut und es soll 40 Jahre dauern, bis dem Neffen Peter Funke ein erstes Werkverzeichnis gelingt, welches die allmähliche Wiederentdeckung einläutet. Erst 1998 findet die erste Retrospektive in Wien statt, gefolgt von einer Ausstellung in Linz 2007. Dank der allmählichen Erschließung ihres Werkes, kann 2018 eine umfangreichere Retrospektive in Chemnitz gefeiert werden.