Elfriede Lohse-Wächtler

Elfriede Lohse-Wächtler, 1929
Courtesy Sammlung Prinzhorn
1899 – 1940 / deutsche Malerin der Neuen Sachlichkeit
Ich bin blöde genug, trotz aller Erfahrungen immer noch zu glauben, dass es doch noch Menschen gibt.
Elfriede Lohse-Wächtler
Elfriede Lohse-Wächtler, „Schlaf“ aus „Friedrichsberger Köpfe“, 1929
© SHK/Hamburger Kunsthalle

Als 1929 ihre Portraits „Friedrichsberger Köpfe“ in einer Hamburger Galerie zu sehen sind, überschlägt sich die Kritik vor Euphorie: »Elfriede Lohse-Wächtler ragt gegenüber dem heutigen Plätscher-Niveau empor, sie ist entschieden eine Entdeckung« und ihre Arbeiten seien »durch und durch beseelt«. Die Künstlerin wird in einem Atemzug mit Otto Dix, Oskar Kokoschka und Egon Schiele genannt. Doch während Otto Dix und vor allem George Grosz die Spießer karikieren und das Gesicht der herrschenden Klasse zur Fratze verzerren, bewahrt sich Elfriede Lohse-Wächtler einen mitfühlenden, aber nie zum Idyllischen neigenden Blick für die Menschen am Rande der Gesellschaft. Prägend für ihre Motive sind ihre Streifzüge durch Kneipen, Kaschemmen, über Hinterhöfe und Hurenhäuser. Hier setzt die scharfe Beobachterin in schonungslosen, aber nie karikierenden Portraits die Schattenseiten der angeblich so goldenen Zwanziger Jahre ins Bild. Dabei blickt sie nicht von der Ferne auf diese Randexistenzen, sondern ist selbst ständig vom sozialen Abstieg bedroht. 

Elfriede Lohse-Wächtler „Lissy“, 1931
Courtesy Bankhaus Metzler / Foto: Horst Ziegenfusz
Unbändiger Durst nach dem wahren Leben

Aus einem beengten bürgerlichen Elternhaus stammend, ertrotzt sie sich mühsam gegen den Willen des Vaters die Künstlerausbildung. Mit 16 Jahren zieht sie von zuhause aus, verdient sich ihren Lebensunterhalt mit Batikarbeiten und besucht die Kunstakademie in Dresden, wo sie erst Modedesign studiert und schließlich zur „Angewandten Graphik“ wechselt.

Elfriede Lohse-Wächtler in selbstgeschneidertem Tanzkostüm, 1922/23
Courtesy Sammlung Prinzhorn
Zwischen Kritikerlob und Lebenskrise

Materielle Not prägt das Leben dieser Künstlerin, auch nach der Heirat 1921 mit dem Sänger Kurt Lohse und dem Umzug 1925 nach Hamburg ändert sich daran nichts. Doch in Hamburg ist sie künstlerisch ausgesprochen produktiv und findet ihren ganz eigenen Stil. Erste Ausstellungen folgen, die Kritiker sind ihr wohlgesonnen. Doch 1929 wird ihre Kunst auf die Probe gestellt. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Abtreibungen aus finanzieller Sorge und die zermürbenden Auseinandersetzungen mit ihrem untreuen Ehemann tun ihr übriges. Elfriede Lohse-Wächtler erleidet einen Nervenzusammenbruch und muss einige Wochen in der Nervenheilanstalt Friedrichsberg verbringen. Doch bereits an den ersten Tagen ihres Aufenthalts beginnt sie zu zeichnen. Hier entstehen die 60 Zeichnungen und Pastelle ihrer Mitpatienten, die nur wenig später in der Hamburger Galerie ausgestellt und von der Kunstkritik enthusiastisch gefeiert werden. Elfriede Lohse-Wächtler ist zwar nun berühmt, aber weiterhin verarmt. Als Obdachlose schlägt sie sich auf St. Pauli durch. Psychisch gebrochen kehrt sie schließlich in ihr Elternhaus nach Dresden zurück, doch die alten Streitigkeiten flammen wieder auf und 1932 lässt der Vater seine Tochter in die nahegelegene Heilsanstalt Arnsdorf einweisen, wo eine Schizophrenie diagnostiziert wird. Ihrer Freiheit beraubt und in ihrer Kreativität beschnitten, drängt sie die Ärzte wiederholt auf Entlassung. „Ich werde durch die Notwendigkeit des dicht aneinander gepfercht seins mit ewig schwatzenden Weibern zur Verzweiflung getrieben“, schreibt sie ihrer Mutter. Trotzdem findet sie die Kraft, sich künstlerisch mit ihrer Situation auseinanderzusetzen, malt großformatige Pastelle, emotionale Porträts und immer wieder schonungslos realistische Selbstbildnisse – rückblickend eine bedrückende Chronik des zunehmenden Verfalls der Künstlerin.

Elfriede Lohse-Wächtler, Selbstportrait und Schatten, 1931
Privatsammlung Kreischa
»Entartet«

Mit der Diagnose Schizophrenie fällt Elfriede Lohse-Wächtler unter das nationalsozialistische „Erbgesundheitsgesetz“. Nach der Scheidung von Kurt Lohse 1935, wird sie, ungeachtet ihrer Proteste und der Eingaben seitens der Familie, entmündigt und zwangssterilisiert. Seelisch gebrochen erlischt ihre künstlerische Schaffenskraft nahezu vollständig. Die Nationalsozialisten beschränken sich nicht darauf, ihr Werk mit dem gefürchteten Schandmal „entartet“ zu brandmarken – neun ihrer Arbeiten sind auf der „Entarteten Kunst“-Ausstellung 1937 vertreten – sie legen auch Hand an am Leben der Künstlerin: Am 31. Juli 1940 wird Elfriede Lohse-Wächtler mit 40 Jahren in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein im Rahmen des Euthanasieprogramms „T4“ vergast.

Elfriede Lohse Wächtler, Fotograf unbekannt
Privatsammlung Bremen

Ein Großteil ihres Werkes wird als „entartete Kunst“ zerstört, von der Familie können 400 Bilder gerettet werden. Als Malerin der „Verschollenen Generation“ erfolgt erst ab 1989 eine späte, doch langsame Rehabilitation. Vor allem dem Engagement privater Kunstliebhaber und Vereine ist es zu verdanken, dass der Name Elfriede Lohse-Wächtler und ihr beachtenswertes Werk mehr Wahrnehmung erfahren hat.