Die Kunstgeschichte feiert mantraartig die immer gleichen männlichen Namen, wogegen Frauen als „Ausnahmetalent“ und „Quotenkünstlerin“ erzählt werden. Damit wurden Künstlerinnen über Jahrzehnte aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschlossen.
Obwohl Künstlerinnen zu Lebzeiten in Ausstellungen präsent sind und Erfolge feierten, wurden sie systematisch aus der Kunsthistorie herausgeschrieben. Die bis ins 20. Jahrhundert ausnahmslos von Männern verfasste Kunstgeschichte leugnet die Existenz von Künstlerinnen zwar nicht, aber nutzte die Kunst von Frauen lange dazu, die überlegene Position der männlichen Künstler zu „beweisen“ und zu festigen.
So wurden Werke von Künstlerinnen lange gesondert von der übrigen Kunst betrachtet – sozusagen im „Frauenkunst“-Kapitel. Werke von Frauen wurden schneller in die Museumsdepots abgeschoben und waren eher dem Verfall und der Zerstörung ausgesetzt. Dies führte zu einer kontinuierlichen Ausgrenzung, Abwertung und Unterschlagung von Künstlerinnen und ihrem Werk.
Kunst von Frauen wurde über Jahrzehnte mit geschlechtsideologisch geprägten Vorurteilen belegt. Diese stereotype Rezeption hinterfragte die künstlerische Kompetenz der Frau und prägt die Sicht auf Kunst von Frauen bis heute.
Bis tief ins 19. Jahrhundert beherrschte der „Künstlermythos“ die Bewertung von Kunstkompetenz. Nach dem zeitgenössischen Künstlerbegriff konnten allein Männer geniale schöpferische Leistung vollbringen und damit künstlerische Genies sein. Künstlerinnen hingegen galten als intuitiv, als „Naturwunder“ und höchstens geschickt im Nachahmen.
Immer wieder wurden typisch weibliche Eigenschaften – zart, gefühlsbetont, anmutig und unentschlossen – für Werkbeschreibungen verwendet und die Kunst der Frau damit der des Mannes untergeordnet. Höhepunkt der frauenverachtenden Literatur bildet das Werk „Die Frau als Künstlerin“ (1908) von Karl Scheffler, der betont: „Der Mann steigert seine Natur, wenn er Künstler wird, die Frau verrenkt sie.“
Auch die überaus erfolgreiche Impressionistin Berthe Morisot wurde unter femininen Eigenschaften bewertet, so schrieb George Rivière „reizende Bilder, so fein und vor allem so weiblich“. Morisots kühnen und freien Stil, der mit traditionellen Gesetzen der Malerei brach, wurde nicht als mutige Grenzüberschreitung gelobt, sondern als Unzulänglichkeit ausgelegt:
Auch die Expressionistin Helene Funke stieß mit ihrer modernen, von ihrem Studium in Paris inspirierten Malweise bei der Wiener Kunstkritik auf herbes Unverständnis:
Der kunsthistorische Blick auf das Werk von Künstlerinnen nimmt auch typisch weibliche Erzählungen in den Fokus und schließt Aspekte in die Kunstbewertung ein, die für den männlichen Künstler keinerlei Rolle spielen: den Körper der Künstlerin, ihre Mutterschaft oder ihre Kinderlosigkeit. Bei Elfriede Lohse-Wächtler überlagert diese biografische Lesart – das Betonen der ihr verwehrten Mutterrolle, ihre Abtreibungen aus wirtschaftlicher Not und ihre labile psychische Konstitution – immer wieder die objektive Betrachtung ihrer Kunst.
Doch die patriarchale Kunstgeschichte blieb nicht ohne Opposition. 1971 legte Linda Nochlin mit ihrem Essay „Why have There Been No Great Women Artists?“ den kunsthistorischen Ausschluss von Künstlerinnen offen und schuf ein wegweisendes Manifest für die feministische Kunstgeschichtsschreibung.
Bis heute bleibt die Rolle und Bewertung weiblicher Kunst im Zentrum von Diskussionen. Und noch immer finden sich sexistische Kunstbetrachtungen. 2013 urteilte Georg Baselitz in einem SPIEGEL-Interview: „Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt.“
Auch wenn die wenigsten die Kunstkompetenz der Frauen heute öffentlich in Frage stellen, so geschieht dies indirekt durch eine zu geringe Berücksichtigung von Kunst von Frauen bei Ausstellungen, bei Museumsankäufen, Sammlungshängungen, der Vergabe von Stipendien, Preisen und Professorenstellen.
Inzwischen herrscht Aufbruchsstimmung. Frauen übernehmen zunehmend Leitungsfunktionen in den Institutionen, die Zahl der Museumdirektorinnen und Galeristinnen wächst und diese bemühen sich um diversere Schauen. Doch nach dem NMWA – National Museum of Women in the Arts sind nur 3-5 % Werke von Künstlerinnen in den ständigen Sammlungen in Europa und den USA vertreten.
Es gibt noch viel zu tun.
Das massive Ungleichgewicht in der Kunstgeschichte visualisiert die Künstlerin Sibylle Zeh. In einem Reclam Künstlerlexikon übermalt sie alle Artikel zu männlichen Künstlern mit weißer Farbe und lässt nur die Frauen stehen. Von den 5.000 Einträgen bleiben am Ende 168 übrig – und damit ein beinahe leeres Buch.
Sibylle Zeh
*1966 / Deutsche Künstlerin der Gegenwart
Sibylle Zeh wird 1966 in Stuttgart geboren. Sie studiert zunächst in Wien an der Akademie der bildenden Künste und der Universität für angewandte Kunst und später an der Universität der Künste in Berlin. Dort lebt und arbeitet sie seit vielen Jahren – unter anderem am „Künstlerinnenlexikon“.
Reclams „Künstlerlexikon“ begegnet Zeh 2006 zufällig in einem Buchladen und direkt fällt der Künstlerin auf, wie wenig Frauen die angebliche Übersicht über die Kunstgeschichte enthält. Indem sie alle Einträge zu männlichen Künstlern weiß übermalt, macht sie die Unausgewogenheit sichtbar.
Sibylle Zeh bleibt kritisch. Sie arbeitet an weiteren Künstlerinnenlexikons und anderen spannenden Kunstprojekten. Aktuelle Informationen zur Arbeit der Künstlerin sind auf ihrer Website zu finden: https://sibyllezeh.de