Lotte Laserstein

Portrait von Lotte Laserstein, unbekannte:r Fotograf:in
Courtesy Berlinische Galerie, Foto: Anja Elisabeth Witte
1898 – 1993 / deutsch-schwedische Malerin der Neuen Sachlichkeit
„Die kann malen, sie besitzt einen ausgeprägten Sinn für den Ernst der Schönheit. Das spürt man bis in die Fingerspitzen.“
Anonym, 1930

1937 in Deutschland. Die krude Propaganda der Nazis nimmt immer entwürdigendere Ausmaße an. Repressalien gegen Juden und Andersdenkende verschärfen sich ins Unerträgliche. Es hagelt noch mehr Berufsverbote. Im Sommer dann die erste diffamierende Ausstellung der »Entarteten Kunst« in München. Zwar nicht unter den Exponaten, aber als »entartet« diskreditiert und beschlagnahmt wird das Gemälde »Im Gasthaus« einer jungen Künstlerin: Lotte Laserstein. Laserstein, eigentlich protestantisch getauft, doch durch die jüdischen Großeltern als »nichtarisch« gebrandmarkt, hat sich gerade als Künstlerin in Berlin einen Namen gemacht, als man ihr alle Möglichkeiten der Berufsausübung schlagartig entzieht und ihre Malschule schließt. Die junge Frau nutzt die Gunst der Stunde. Dank einer Ausstellungseinladung nach Stockholm ist ein Großteil ihrer Werke bereits nach Schweden überführt, die Künstlerin selbst folgt im Dezember 1937 in den neutralen Norden. 

Leuchtendes Talent

Nur wenige Jahre zuvor hat Laserstein zielstrebig ihre Karriere aufgebaut und die professionelle Anbindung an Künstlervereine gesucht – wie den Deutschen Lyceum-Club, den Staatsbürgerinnen-Verband und den Verband der Berliner Künstlerinnen, wodurch ihr regelmäßige Ausstellungsmöglichkeiten geboten werden, die Laserstein intensiv wahrnimmt, um sich einen Kreis von Auftraggebern und Käufern zu erschließen. Bereits 1931 hat sie ihre erste Einzelausstellung in der renommierten Galerie Gurlitt, die Presse lobt ihr »starkes Können« und prophezeit dem »leuchtenden Talent« einen »glanzvollen Aufstieg«:

Lotte Laserstein – diesen Namen wird man sich merken müssen. Die Künstlerin gehört zu den allerbesten der jüngeren Malergeneration. Ihr glanzvoller Aufstieg wird zu verfolgen bleiben.
Berliner Tageblatt 1929
Lotte Lasersteins „Frau mit roter Baskenmütze“, 1931
Courtesy Berlinische Galerie/ Foto: KOBERSTEIN FILM

Laserstein gelingt, was für eine Künstlerin in den 1920er- und 1930er-Jahren alles andere als selbstverständlich ist: ab 1921 besucht sie die Akademische Hochschule für Bildende Künste – erst seit 1919 waren Frauen hier überhaupt zugelassen – und sichert sich durch die Gründung einer Malschule ihre finanzielle Unabhängigkeit. Sie ist gut vernetzt und steht auf eigenen Beinen. Früh nimmt sie an Wettbewerben teil und platziert ihre Werke gekonnt dort, wo sie Aufmerksamkeit bekommen: in den Medien. Illustrierte Zeitschriften sind das Medium der Weimarer Republik und Laserstein nutzt diese zur Präsentation ihrer Kunst. 

Lotte Lasersteins „Tennisspielerin“, abgedruckt in „Der Bazar“, 1930
© VG BILDKUNST 2021 / Courtesy Berlinsche Galerie/ Foto: KOBERSTEIN FILM
Die neue (ernste) Frau

Mit wohl gewählten Bildthemen setzt sie den Typus der Neuen Frau im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens in Szene – als sportliche Tennisspielerin oder lässig-elegante Kaffeehausbesucherin. Laserstein arbeitet am Puls der Zeit und verkörpert den selbstbewussten Frauentypus der Berliner 1920er Jahre schlechthin. Selbstbestimmt, kurzhaarig, intellektuell, doch nicht ausgelassen, sondern konzentriert und ernst – so fängt sie die emanzipierten Städterinnen in ihren sensiblen Portraits ein. Die psychologische Tiefe ihrer Arbeiten machen die Bilder zeitlos. Die Ausgelassenheit sucht man in ihrem Werk vergeblich, dafür besitzen ihre Arbeiten eine tiefe Intimität, die Protagonisten behalten ihre Geheimnisse. 

„Laserstein ist eine Menschenmalerin. Das Thema moderne, emanzipierte Frau zieht sich wirklich wie ein roter Faden durch ihr Werk. Und sie hat mit ihrer Freundin Traute Rose ein ideales Modell gefunden.“
Anna-Carola Krausse, Kunsthistorikerin
Lotte Laserstein „Traute im grünen Pullover“ um 1931
© VG BILDKUNST 2021 / Courtesy Privatarchiv Anna-Carola Krausse
Atmende Akte

Laserstein schreckt auch vor der Königsdisziplin des Aktes nicht zurück und schafft malerisch raffinierte und technisch gekonnte Werke – und zugleich »neue« Akte in Abgrenzung zur herkömmlichen Darstellung weiblicher Modelle durch männliche Künstler. Lasersteins Akte bezeugen eine Einfühlsamkeit und Vertrautheit, jenseits aller sexualisierter Objektivierung.

Lotte Laserstein „In meinem Atelier“, 1928
© VG BILDKUNST 2021 / Courtesy Privatarchiv Anna-Carola Krausse
„Weibliche Akte namentlich von solcher Zartheit und Herbheit zugleich, von solchen Weisen, solch atmendem Leben des Körperlichen wird man selten wiederfinden.“
Max Osborn, 1935

Gleichzeitig thematisiert sie selbstbewusst ihre eigene Rolle als Künstlerin. Indem sie sich immer wieder bewusst im Malerkittel mit übergroßer Farbpalette darstellt, vergewissert sich Laserstein ihres Status’ als Malerin und hebt ihre Stellung als Künstlerin in der Kunstgeschichte hervor. Zahlreiche Gemälde zeugen von einer sehr vertrauten Malerin-Modell-Beziehung.

Lotte Laserstein „Ich und mein Modell“, 1929
© VG BILDKUNST 2021 / Courtesy Privatarchiv Anna-Carola Krausse
„Wie wichtig dieser Teamwork-Gedanke für Laserstein war, formuliert sie in vielen künstlerischen Bildern deutlich, indem sie das Modell nicht als Vis-a-Vis darstellt sondern als Figur, die ihr über die Schulter guckt und schaut, wird das auch alles gut, also ein sehr gleichberechtigtes Verhältnis…“
Anna-Carola Krausse, Kunsthistorikerin

Aufsehen erregt die selbstbewusste Künstlerin 1930 mit ihrem mutigen Werk »Abend über Potsdam«, das gekonnt alte Meister zitiert – Jan Vermeers »Milchmädchen« oder Da Vincis »Abendmahl« – und zugleich ein melancholisches Stimmungsbild der krisengebeutelten Gesellschaft zeigt. Der Ernst jener Jahre der Rezession ist ihren Bildern unweigerlich eingeschrieben.

Lotte Laserstein „Selbstbildnis“, 1934-35
© VG BILDKUNST 2021 / Courtesy Privatarchiv Anna-Carola Krausse
Von Berlin ins Exil ins Vergessen

Lasersteins Weg im schwedischen Exil gestaltet sich nicht ohne Hindernisse, auch hier ist sie vor anti-semitischen Anfeindungen und Einschränkungen nicht geschützt. Doch die Künstlerin meistert den Neustart und etabliert sich als Auftragsmalerin, bald portraitiert sie das Who’s Who der aristokratischen Gesellschaft. Doch an den Erfolg ihrer Berliner Jahre kann sie nicht anknüpfen. Persönlich bedeutet der Gang ins Exil einen tiefgreifenden Einschnitt. Lasersteins Versuche, ihre Familie nach Schweden zu holen, sind vergeblich: die Mutter wird von den Nationalsozialisten ins KZ Ravensbrück verschleppt und hier ermordet, während ihre Schwester die Kriegsjahre in einem Berliner Versteck schwer traumatisiert überlebt. Die Nachkriegsjahre stürzen Laserstein selbst in eine tiefe seelische Krise, die sie nur dank ihrer Schaffenskraft und ihrer existentiellen Selbstdefinition als Künstlerin bewältigt. Durch alle Widrigkeiten hindurch, ist ihr die Kunst ein Anker. 

„Hätte ich nicht meine eigene Wirklichkeit im Malkasten gehabt, diesem kleinen Köfferchen, so hätte ich die Jahre nicht durchstehen können, in denen mir alles genommen wurde: Familie, Freunde und Heimat.“
Lotte Laserstein
Lotte Laserstein um 1955
© VG BILDKUNST 2021 / Courtesy Berlinische Galerie, Foto: Anja Elisabeth Witte
Zufällig wiederentdeckt

Doch ihr schonungslos realistischer Stil ist in der immer abstrakter werdenden Kunst der Nachkriegszeit nicht länger gefragt und die Ausstellungen bleiben aus. Schnell vergisst Deutschland seine sensible Porträtistin.

 

Die Wiederentdeckung von Lotte Laserstein ist eine zufällige. Eine Londoner Galeristin ist für die Ausstellung »German Art in the 20th Century« auf der Suche nach Lasersteins ehemaligem Professor, doch so angetan von der Exilkünstlerin, dass sie ihr 1987 eine Einzelausstellung widmet. Doch auch nach dem Erfolg in England dauert es weitere 16 Jahre, bis Lasersteins Kunst hierzulande zu sehen ist. Maßgeblich dafür ist die unermüdliche Forschung der Kunsthistorikerin Anna-Carola Krausse, auf deren Dissertation das Verborgene Museum in Berlin aufmerksam wird. 2003, zwanzig Jahre nach Lasersteins Tod und 70 Jahre nach ihrem Gang ins Exil, realisieren die Macherinnen des Verborgenen Museums, Elisabeth Moortgat und Marion Beckers, gemeinsam mit Anna-Carola Krausse schließlich die erste Retrospektive und leiten die Wiederentdeckung von Lotte Laserstein und ihrem Werk, das 10.000 Arbeiten umfasst, ein. Ausstellungen in Schweden, Frankfurt und Kiel folgen. 2019 wird Laserstein in einer großen Retrospektive in der Berlinischen Galerie gewürdigt und endlich feiert Deutschland seine vergessene Künstlerin.