Berthe Morisot
1841–1895 / französische Malerin
Als der Auktionsleiter 1875 im Pariser Hôtel Drouot die Summe von 480 Francs für das Gemälde Interieur verkündete, muss es eine persönliche Genugtuung für die 34 jährige Berthe Morisot gewesen sein. Damit überbot sie nicht nur den unangefochtenen Malerstar Édouard Manet, sondern erzielte den höchsten Verkaufspreis der Impressionisten-Auktion überhaupt.
Eine Karrierefrau
Als Gründungsmitglied der impressionistischen Gruppe und mit unzähligen Werken an den sieben der acht Impressionisten-Ausstellungen beteiligt, genießt Morisot große Anerkennung und ist eine der Hauptfiguren der Gruppe um Monet, Degas, Renoir, Pissarro und Mary Cassatt, die sich als die wichtigsten Erneuerer der Malerei ihrer Zeit durchsetzen. Morisot veranstaltet regelmäßig am Donnerstagabend Jour fixe, bei denen sich die zentralen Wegbereiter der Moderne in ihrem Haus in Paris trifft. 30 Jahre umfasst ihre Karriere und ihre Pionierstellung innerhalb der Impressionisten und der Moderne ist unbestritten.
Von wegen Manets Schülerin…
Dennoch ist ihr Name außerhalb Frankreichs und abseits von Expertenkreisen weniger bekannt. Zuweilen sind ihre von Manet angefertigten Portraits dem breiten Publikum gar vertrauter als Morisots eigene Werke. Für Morisots Reputation als eigenständige und professionelle Künstlerin ist es durchaus zwiespältig, dass sie so häufig von Manet portraitiert wurde, denn der Status als weibliches Malermodell trug nicht dazu bei, Morisot als Künstlerin bekannter zu machen.
Zudem wurde Morisot lange fälschlicherweise als Schülerin Manets ausgegeben. Als Maler war Manet sicher inspirierend, aber Morisot war bereits im Pariser Salon anerkannt, bevor sie Manet kennenlernte. Eher muss der umgekehrte Einfluss betont werden: Morisot beeinflusste Manets Farbpalette wesentlich und inspirierte seine hellere Farbigkeit.
Von der Kritik verkannt
Zudem ist Berthe Morisot künstlerisch radikaler und moderner als die berühmten Männer: in ihrer energischen, gestisch immer freier werdenden Malerei lösen sich Formen auf und ähnlich wie Monet spielt auch Morisot mit den Grenzen zur Abstraktion. Ihre visionäre Malweise jedoch interpretiert die zeitgenössische Kunstkritik als »vage und unentschlossen« und attestiert »weibliche Zögerlichkeit«. Immer wieder steht ihr Werk, das sich kühn über die Regeln der Kunstwelt hinwegsetzt, in der Kritik: »Einen Schritt weiter und man kann überhaupt nichts mehr erkennen oder verstehen.« Doch im Gegensatz zur Kritik ihrer männlichen Kollegen wurde ihr Brechen mit traditionellen »Gesetzen« der Malerei nicht als mutige Grenzüberschreitung ausgelegt, sondern als Schwäche und Unzulänglichkeit – leider häufig einhergehend mit sexistischen Zuschreibungen: »Warum macht sie sich, bei ihrem Talent, nicht die Mühe, ihre Bilder fertig zu malen? – Morisot ist eine Frau und somit launisch. Wie Eva beißt sie in den Apfel hinein, gibt ihn dann aber viel zu schnell auf. Das ist schade, denn sie beißt sehr gut«, so ein Kritiker 1880.
»Malen ist für mich so notwendig wie Atmen«
Doch Morisot lässt sich nicht beirren und hält auch nach ihrer Heirat mit Eugène Manet, dem Bruder Édouard Manets, und der Geburt der gemeinsamen Tochter an ihrer Arbeit fest. Über ihre Rolle als Ehefrau äußert sie: „(Die Männer neigen dazu), zu glauben, sie füllten einem das ganze Leben aus, aber ich denke, dass, egal wie groß die Liebe der Frau für ihren Mann ist, es nicht leicht für sie ist, ihre Arbeit aufzugeben. (…) Arbeit ist für mich der einzige Zweck meines Daseins.“ Berthe Morisot ist klar in ihrem beruflichen Ziel und hat Erfolg. Dieser modernen und freigeistigen Wegbereiterin des Impressionismus muss, neben den allseits bekannten impressionistischen Malern, endlich der ihr gebührende Platz in der Kunstgeschichte eingeräumt werden.