Marie Laurencin

1883 – 1956 / französische Lyrikerin und Malerin zwischen Kubismus und Fauvismus
„Warum sollte ich tote Fische, Zwiebeln und Biergläser malen? Frauen sind doch viel hübscher“
Berthe Morisot

Marie Laurencin setzt ihren Wunsch, Künstlerin zu werden, früh gegen erhebliche Widerstände durch. Sie beginnt eine Ausbildung als Porzellanmalerin, wo ihr großes künstlerisches Talent früh erkannt wird und schließlich zu ihrer Aufnahme an der Pariser Académie Humbert führt. Sie wird von Bekannten in die Pariser Bohème-Szene eingeführt, lernt Maler wie Pablo Picasso, George Braque und Henri Matisse kennen, experimentiert stilistisch mit dem Kubismus und dem Fauvismus, zerlegt Motive in Flächen, spielt mit Perspektive und subjektiver Farbgebung. Frühe Zeichnungen zeugen von ihrem außergewöhnlichen Talent und einem visionären Blick. 

Marie Laurencin, Selbstportrait, 1928
© VG BILDKUNST 2021
Anerkannt am Montmartre

Schnell macht sie sich einen Namen als eigenständige Künstlerin. Damit gehört sie neben Sonia Delaunay und Suzanne Valadon zu den wenigen Frauen, die sich auf dem von Männern dominierten Montmartre durchsetzen konnten. Laurencin erhält Unterstützung von einer der wenigen Kunsthändlerinnen dieser Zeit. Berthe Weill, die als erste Pariser Galeristin Pablo Picasso in ihr Programm aufnimmt, unterstützt die wenigen Künstlerinnen des Montmartre. 1908 stellt Laurencin bei ihr aus, ein Jahr zuvor hat die Künstlerin im Salon des Indépendants ihre Werke erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Auch die einflussreiche US-amerikanische Kunstsammlerin und Schriftstellerin Gertrude Stein ist von Laurencins Stil angetan und erwirbt ihre Gemälde. 1913 ist Marie Laurencin bei der legendären, die amerikanische Moderne einläutenden Ausstellung »Armory Show« in New York vertreten und präsentiert eine stolze Anzahl von sieben Arbeiten, gemeinsam mit den wichtigsten Vertreter der europäischen Moderne Pablo Picasso, Henri Matisse, George Braque, Robert Delaunay, Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Édouard Manet, Edvard Munch, Kasimir Malewitsch und Wassily Kandinsky.  

Stilsicher

In Paris ist Laurencin bald eine etablierte Malerin und verkehrt mit französischen Kubisten wie Robert Delaunay, Jean Metzinger und Francis Picabia. Trotzdem hält die Künstlerin stets eine gewisse Distanz, wendet sich weder dem Fauvismus noch dem Kubismus zur Gänze zu, sondern findet zu ihrem ganz eigenen filigranen, nahezu zeitlosen Stil.

 

In fein geschwungenen Konturen und einer luftigen Farbgebung malt sie vor allem weibliche Figuren, blasse Wesen mit dunklen melancholischen Augen, Blumen, Vögel, Hunde und Gitarren ergänzen die Motive. Die an sich gegenständlichen Darstellungen bewegen sich dabei mehr oder minder stark in der Nähe zur Abstraktion. Die Konturen werden weich, pastellige Blau-, Rosa- und Grüntöne halten Einzug in eine mystische Welt. 

Marie Laurencin, The Rehearsal, 1936
© VG BILDKUNST 2021

Im Laufe ihrer Karriere nimmt Laurencin verschiedene Auftragsarbeiten an, kreiert Kostüme und Bühnenbilder für Theater- und Tanzstücke, so für das prestigeträchtige Ballets Russe, und illustriert Bücher. Nach Exiljahren in Spanien und Deutschland, erlebt sie im Paris der 1920er und 30er Jahren ihre finanziell erfolgreichste Zeit. Sie ist die anerkannte Portraitmalerin der besseren Gesellschaft, es ist Mode, eine Laurencin im Salon hängen zu haben. Auch Coco Chanel lässt sich von Laurencin porträtieren, doch die minimalistische Modeschöpferin lehnt das fertige Bild ab, in dieser mythischen pastellfarbenen Sphärenhaftigkeit erkennt sie sich nicht wieder und verweigert Laurencin die Zahlung. Möglicherweise sah Coco Chanel in dem feinen, sehr femininen Duktus auch eine berufliche Gefahr für ihren klaren, funktionellen Stil ihrer Herrenmode.

Marie Laurencin, Portrait von Coco Chanel
© VG BILDKUNST 2021

Bis heute werden Laurencins Werke immer wieder als weiblich rezipiert und Laurencin selbst oft als Muse des Dichters Guillaume Apollinaires bezeichnet, mit dem sie einige Jahre liiert war, – eine klassische Rolle, die Frauen in Avantgarde-Kreisen übergestülpt wurde. Dabei lebte Laurencin ein befreites Leben, war bekennend bisexuell und eine der ersten Künstlerinnen, die die weibliche Homosexualität darstellte. 

Marie Laurencin, Der Kuss, 1927
© VG BILDKUNST 2021
„Die Tatsache, dass ihr besonderes Werk nicht in den Kanon der kubistischen Kunst passte, hatte zur Folge, dass Laurencin nach ihrem Tod aus der Kunstgeschichte ausgeschlossen wurde.“
Camille Morineau, Direktorin AWARE
Zu feminin für die europäische Kunstgeschichte?

Laurencins so eigener Stil, der einen eleganten Spagat zwischen Kubismus und Fauvismus vollzieht, mag ihre Zuordnung für manchen Kunsthistoriker erschwert haben. Doch während die europäische Kunstgeschichte ihre avantgardistische Künstlerin weitestgehend ausklammert, wird Laurencin in Japan auf einer Stufe mit Braque und den Malern ihrer Generation gesehen und besonders geehrt – wohl auch weil ihre lyrisch leichte Malweise in Japan auf ein anderes, das Dekorative nicht verteufelndes Kunstverständnis trifft. 1983 eröffnet der Privatsammler Masahiro Takano ein eigenes Laurencin-Museum, erst in Nagano und ab 2017 in Tokio, das mittlerweile 600 Gemälde umfasst. Unterdessen erfährt Laurencin 2014 hierzulande eine kurze Aufmerksamkeit, als der Kunstfälscher Beltracchi angibt, zwei ihrer Bilder gefälscht zu haben – immerhin eine gewisse, wenn auch zwiespältige, Ehrung dieser modernen Künstlerin.